Heiligenstockschule / Hofheim

Gans-Geburtstag: Twiti wird 15

(Höchster Kreisblatt vom 11.2.2011)

Der Ganter lebt seit 1996 an der Heiligenstockschule, wo er damals auch aus dem Ei geschlüpft ist

Die Schulgans lebt gemeinsam mit ihren gefiederten Freunden an der Grundschule - ein hessenweit einzigartiges Projekt.

Von Christine Sieberhagen

Marxheim. Keine Frage: Twiti ist der Chef. Wenn er seine kräftige Stimme erhebt, hat der mächtige Phönix keine Chance. Und Lulu sowieso nicht. Kein Wunder, schließlich ist Twiti ja auch der Erstgeborene - und wie in Königshäusern herrscht auch bei Höckergänsen eine klare Rangfolge. Die drei Vögel sind die heimlichen Stars der Heiligenstockschule - und zwar seit 15 Jahren.

Am 14. Februar 1996 pickte sich Twiti mühsam durch die harte Schale seines Eis durch und wurde mit Hilfe vieler Kinder und seiner Ersatzmama Margarete Bastian hochgepäppelt. Inzwischen ist Twiti ein Pracht-Ganter wie aus dem Bilderbuch und feiert am kommenden Montag zusammen mit seinen watschelnden Verwandten Phönix und Lulu, die aus anderen Gelegen stammen und etwas später geboren wurden, 15. Geburtstag. Klar, dass Kinder, Kollegium, der ehemalige Schulleiter Helmut Richter, die Helfer des Kleintierzuchtvereins und Ehemalige kommen werden, um den schnatternden Geburtstagskindern zu gratulieren. Allen voran natürlich Margarete Bastian, ohne die es das bis dato hessenweit einmalige Projekt nicht gäbe.

Also, ein Blick zurück. Da sind zunächst die Martingänschen aus Hefeteig. Die brachten Margarete Bastian, die der Schule durch ihre eigenen Kinder seit vielen Jahren verbunden war, auf die Idee. «Ich habe mir Gedanken darüber gemacht, dass die Kinder dem echten Tier meist noch nie begegnet sind», erinnert sie sich. Beim Gallusmarkt hatte sie Kontakt zu Willi Kunz vom Hofheimer Kleintierzuchtverein geknüpft, der selbst Gänse besaß. «Ich habe ihn gefragt, ob wir uns zu Sankt Martin eine Gans für die Schule ausleihen könnten, und es hat auf Anhieb geklappt.» Zu Sankt Martin zog also eine Gast-Gans in der Schule ein - zur großen Freude der Kinder. «Die Gans musste dann im Sekretariat übernachten», erinnert sich Margarete Bastian. Bei den Kindern kam das Natur-Experiment super an. Deshalb sollte die Sache wiederholt werden. Die Tiere konnte Willi Kunz liefern, und er sollte sie bis zu ihrem Umzug auch betreuen. Doch damit waren seine eigenen Wildgänse überhaupt nicht einverstanden. Die vertrugen sich nämlich nicht mit den anderen Gänsen und veranstalteten ein fürchterliches Spektakel. «Deshalb habe ich in meiner Not Schulleiter Richter gefragt, ob wir die Gänse nicht in Pension nehmen könnten», erinnert sich Margarete Bastian. Der Biologe sagte «ja». Bald zogen zwei Gänsedamen und ein Ganter in den unfunktionierten Stall im Atrium der Schule ein. «Jeder Tag wurde für die Kinder und die Lehrer zu einem Natur-Erlebnistag», schildert Margarete Bastian, die bereits 1994 die Schülerarbeitsgemeinschaft «Natur erleben und erfahren» ins Leben gerufen hatte.

Rasch legten die Gänsedamen Eier - das Ergebnis kam am 14. Februar 1996 auf die Welt und heißt Twiti. Für die Kinder ein einmaliges Erlebnis. «Sie waren völlig aus dem Häuschen und warteten und warteten. Als sich bis zum Abend nichts getan hatte, holten sie ihre Isomatten von zu Hause, um in der Schule zu übernachten. Sie wollten unbedingt dabei sein, wenn das Küken schlüpfen würde», erzählt Margarete Bastian, die für ihr unermüdliches Engagement in Sachen Naturschutz mehrfach ausgezeichnet wurde.

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Die Gänschen eroberten nicht nur die Herzen von Kindern, Eltern und dem Kollegium, sondern sind auch wichtiger Teil des pädagogischen Konzepts, das Karola Sterf, die 2000 die Nachfolge von Helmut Richter antrat, gern ausbaute. Die neue Schulleiterin war begeistert von der Idee: «Ich war zuvor an einer Schule in Berlin, in der auch Schafe, Hühner und andere Tiere gehalten wurden.» Seither ist Naturkunde an der Heiligenstockschule eine Herzensangelegenheit. «Die Mädchen und Jungen kümmern sich um die Tiere, beobachten die Natur, studieren das Verhalten der Gänse und begreifen die Schule als wichtigen Lebensraum für sich und die Tiere», schildert Margarete Bastian. Genau dies ist das Anliegen der gelernten Landwirtschaftslehrerin.

Inzwischen wurden weitere Gänse geboren, außerdem gesellen sich Enten und Zwerghühner dazu. Klar, dass da auch Mist anfällt. Und selbst der wird genutzt und fügt sich in die pädagogische Idee von Margarete Bastian ein: «Wir haben ein verwildertes Landstück auf dem Schulgelände nutzbar gemacht, mit dem Mist der Tiere gedüngt und schließlich Gemüse und sogar einen Weinstock angelegt.» Das Gemüse ernten die Schüler und zaubern daraus leckere Speisen in der Schulküche. Auf diese Weise lernen die Kinder auch, wo was wächst. «Die meisten Kinder sitzen heute vor dem Computer und sammeln ihr Wissen über die Natur aus zweiter Hand», meint die Marxheimerin.

Ganz wichtig ist zudem, dass die Mädchen und Jungen ihre Emotionalität ausleben können», fügt Karola Sterf hinzu. Lili und Migle sind nur ein Beispiel. Liebevoll streicheln die Mädchen Twiti und Phönix über das weiche Brustgefieder. Die drolligen Vögel genießen das sichtlich und lassen sich sogar bereitwillig in den Arm nehmen. Wen wundert‘s, dass Karola Sterf über die schnatternden Maskottchen sagt: «Sie sind ein unheimlicher Schatz für unsere Schule.»

Ein Wermutstropfen allerdings trübt die Freude: Durch den Umbau der Schule werden die Gänse ihr Domizil bald verlassen müssen. Noch vor den Osterferien ziehen sie dann auf die «Ranch», das Gelände des Kleintierzuchtvereins, um. (sie)

Artikel vom 10. Februar 2011, 18.20 Uhr (letzte Änderung 11. Februar 2011, 04.26 Uhr)