Heiligenstockschule / Hofheim

Was kommt auf Hessens Schulen zu?

- Die Frankfurter Rundschau lädt für heute Abend zum Stadtgespräch ein.

"Wir müssen uns anpassen, nicht das Kind"

Die Hofheimer Heiligenstockschule zeigt, wie gemeinsamer Unterricht funktionieren kann

Von Andrea Rost

Deutschstunde in der 6b. Klassenlehrerin Jasmin Winerke hat Übungsblätter ausgeteilt. Um Subjekt, Prädikat, Dativ- und Akkusativobjekt geht es heute. Die Schüler machen sich an die Arbeit. Nicht alle haben die gleichen Aufgaben zu lösen.

Während einige einen einfachen Lückentext bearbeiten, formulieren andere Fragen zu den einzelnen Satzgliedern. "Ganz schön knifflig", findet ein Junge.

Die 6b der Hofheimer Heiligenstockschule ist eine Klasse, in der Kinder mit und ohne Beeinträchtigung gemeinsam unterrichtet werden. Unter den 23 Schülern sind drei Kinder mit Lernhilfebedarf und zwei Kinder, die Erziehungshilfe benötigen, weil bei ihnen zum Beispiel ADHS diagnostiziert wurde.

Unterstützung von Kollegen

Jasmin Winerke steht als Lehrerin nicht alleine in der Klasse. In mehr als der Hälfte der Schulstunden, speziell in den Hauptfächern Deutsch und Mathematik, wird sie üblicherweise von Förderlehrer Wolfgang Katzenbach unterstützt. Heute ist Referendarin Julia Schäfer im Unterricht mit dabei.

"Kannst du bitte mal kommen?", ruft ein Mädchen mit rosa Pullover. Julia Schäfer setzt sich neben die 13-Jährige an den Tisch, geht mit ihr die Aufgaben durch, sucht im Mäppchen nach einem Kugelschreiber. "Du musst dir Nachfüllpatronen kaufen", sagt die junge Lehrerin und notiert die genaue Bezeichnung. Die Schülerin sei nach einer Gehirnverletzung beim Lernen stark gehandicapt, erklärt Wolfgang Katzenbach. "Aber sie hat in der letzten Zeit gute Fortschritte gemacht." Wenn

die 13-Jährige unruhig wird und während der Schulstunde mal durch die Klasse läuft, nehmen die anderen Kinder kaum Notiz davon.

Auch dass ein Junge mit braunen Locken schon zum dritten Mal heftig am Stuhl seines Nachbarn rüttelt, bringt den nicht aus der Ruhe. "Die Kinder können mit solchen Situationen gut umgehen", sagt Wolfgang Katzenbach. "Da fühlt sich keiner groß gestört."

Jasmin Winerke teilt neue Übungsblätter aus. Aufgaben in sechs bis sieben unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden habe sie vorbereitet, sagt sie. "Da ist für jeden etwas dabei."

"Wir können die Lernhilfekinder natürlich nicht mit den Regelschülern vergleichen", sagt Wolfgang Katzenbach. "Wir vergleichen sie mit sich selbst, gucken, wo sie Fortschritte gemacht haben und wo es noch Defizite gibt."

In der 6b sind die Leistungsunterschiede groß. Neben Kindern, die sich noch mit der Groß- und Kleinschreibung schwertun, sitzen Schüler, die nach der Förderstufe vielleicht sogar aufs Gymnasium wechseln werden. Zwei der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf haben in den vergangenen Jahren so gute Fortschritte gemacht, dass ihnen der Förderbedarf nach der sechsten Klasse aberkannt wird. Sie werden künftig eine Regelschule besuchen. "Das ist für uns ein großer Erfolg", sagt der Konrektor der Heiligenstockschule, Reinhard George-Bergen. "Weniger wegen der Statistik, sondern weil es um individuelle Schicksale geht."

Ist die Hofheimer Grundschule mit Förderstufe also ein Paradebeispiel, wie Inklusion funktionieren kann? Reinhard George-Bergen schüttelt den Kopf. "Wir sind auf dem Weg dahin, aber wir sind auch noch weit davon entfernt." Zwar zähle die Schule, an der 30 Lehrer und acht Sonderpädagogen 420 Schüler unterrichten, von denen 35 einen sonderpädagogischen Förderbedarf haben, hessenweit zu den am besten ausgestatteten; das gesamtgesellschaftliche Problem, wie Behinderte in den Alltag integriert werden, sei damit aber nicht gelöst.

 "Wir müssen uns anpassen, nicht das Kind"

"Die Schere im Kopf muss weg", sagt George-Bergen. "Die Schule muss sich an das einzelne Kind anpassen, nicht umgekehrt."

ALLES NEU! ALLES GUT?

Hessen renoviert mit neuen Schulgesetzen die Bildungslandschaft. Darüber diskutieren: Jörg Feuchthofen, Geschäftsführer der Unternehmerverbände VHU, Landeselternsprecherin Kerstin Geis, Landesschülersprecher Tim Huß, Jochen Nagel, Chef der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, sowie der Pädagoge und Theologe Gerhard Ziener. Donnerstag, 31. März , FR-Depot Sachsenhausen,

Karl-Gerold-Platz 1, Frankfurt, Einlass 18 Uhr.

In Hessen sollen alle Kinder - ob mit oder ohne Behinderungen - künftig an der Regelschule angemeldet werden. Ob jene Jungen und Mädchen mit Behinderungen dort auch beschult werden, hängt laut Regierungsentwurf für ein neues Schulgesetz davon ab, ob dafür die personelle, sächliche und räumliche Ausstattung vorhanden ist. Es werden keine Vorgaben gemacht, wonach diese Ausstattung bereitgestellt werden muss.

Von rund 25 000 Schülern mit Behinderungen besuchen in Hessen knapp 3000 eine Regelschule, das sind rund elf Prozent. Die anderen gehen auf eine Förderschule. Pgh

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